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Zu meinen Lieblingstouren in Kanada gehören Wildnisexkursionen an der Seite von First Nations. Ein ganz besondereres Erlebnis hatte ich in Bristish Columbia. Der folgende Text über diese Begegnung ist in der WELT erschienen. 

Tana ist die gesprächigste Indianerin, die ich kenne. Mit Abstand! Wie ein Wasserfall sprudelt es aus der 21-Jährigen, sie erzählt von ihrer Familie, ihren Freunden, ihrer Musik, ihren Träumen, ihrem Studium. Wie schafft sie es bloß, so viel zu reden, ohne beim Paddeln aus dem Takt zu kommen? Schließlich gibt sie den Rhythmus vor in dem fünf Meter langen Kanu, das ein Stammesältester aus einer Zeder geschnitzt und gebrannt hat.

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Abfahrt im Hafen von Tofino.

Wir müssen ein ungewöhnliches Bild abgeben, immer wieder geht einer der vorbeischippernden Freizeitkapitäne aus Neugier vom Gas und ein Segler dreht eine Extrarunde, um das Einbaumkanu mit der jungen First Nations-Frau und ihren drei Paddelgästen in Augenschein zu nehmen. Um uns ragen die urwaldbedeckten Inseln im Clayoquot Sound vor Vancouver Island auf.

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Paddler im Clayoquot Sound.

Jedes Mal, wenn ich in Nordamerika unterwegs bin, versuche ich etwas über die Kulturen der Ureinwohner zu lernen. Ich war bergsteigen mit einem Kootenai, der in sechs Stunden kaum ein Wort verlor. Aß Wildgans vom Lagerfeuer mit einem Cree, der von der Elch- und Bärenjagd erzählte. Übernachtete bei einem alten Häuptling, der mich, den „Weißen“, mit seinem spöttischen Humor aufs Korn nahm, aber nichts Persönliches preisgab – nur seine Frau flüsterte mir zu, dass er ein mächtiger Medizinmann sei, der seine Gestalt wechseln könne.

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Im Hafen von Tofino.

Doch keine meiner Begegnungen erzählte so offenherzig und unvoreingenommen wie Tana Thomas vom Stamm der Nuu-chah-nulth. Vielleicht liegt es daran, dass sie gerade ihr Tourismusstudium beendet hat und vor Begeisterung sprüht, Fremden ihre Kultur näherzubringen. Bestimmt auch daran, dass sie nicht zur „Lost Generation“ gehört, der Generation ihrer Eltern und Großeltern, denen ihre Kultur und Sprache in den berüchtigten Residential Schools ausgetrieben wurden.

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Im Hafen starten auch Wasserflugzeuge.

Doch auch an der Jugend ging die Vergangenheit nicht spurlos vorüber: „Ich tat lange so, als gehörte ich nicht zu den First Nations – ich wollte sogar in einer Mall arbeiten“, sagt Tana. Nun sieht sie ihre jüngeren Geschwister durch die gleiche Phase gehen: „Zuerst verliert man sich ein bisschen. Doch irgendwann in der Oberstufe kapiert man dann, was wirklich wichtig ist: unsere Identität als First Nations.“

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Begegnung mit First Nations.

Inzwischen lernen viele aus ihrer Altersgruppe wieder die alten Sprachen, interessieren sich für Zeremonien und Kräuterkunde – oder fahren mit auf die „Tribal Journey“, eine Kanuexpedition entlang der Küste, an der jedes Jahr mehrere Tausend Ureinwohner aus Kanada und den USA teilnehmen. „Abends essen wir dann mit Leuten von einst feindlichen Stämmen und lachen darüber, dass wir uns früher bestimmt bekämpft hätten.“

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Anlegen auf Meares Island.

Tanas Redefluss bricht ab, als wir Meares Island erreichen. Dichter Wald wächst hier bis ans Ufer, weit und breit ist keine Anlegestelle in Sicht. Doch Tana steuert zielstrebig unter dem grünen Dach hindurch, der Bug rauscht auf den Sandstrand. Über knarrende Bohlenwege wandern wir ins Innere der Insel. Lange Flechten baumeln von den riesigen Bäumen. Das Moos, das die Wetterseite der Bäume bedeckt, fühlt sich so weich an wie das Fell eines Tieres.

Bucht auf Meares Island im Stammesgebiet der Ahousaht-Indianer.
Urwald im Stammesgebiet der Ahousaht First Nations.

Tana deutet auf einen besonders dicken Stamm: „Er steckt voller langer Nägel“, sagt sie, „unser letztes Mittel gegen die Sägen.“ 1984 war ein Holzkonzern schon zum Kahlschlag angerückt. Mit Widerstand rechnete niemand. Doch dann erwachte die indianische Gemeinde, besetzte die Insel, blockierte Forststraßen und klagte vor Gericht. Die Insel wurde schließlich als Tribal Park unter Schutz gestellt, im Jahr 2000 erklärte die UNESCO den gesamten Clayoquot Sound zum Biosphärenreservat. Ein Sieg für die First Nations.

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Die Bäume wurden gerettet.

Im Herzen des geretteten Waldes packt Tana jetzt eine Trommel aus ihrem Rucksack und singt unter dem Blätterdach ein wehmütiges Lied. Vorbeikommende Wanderer treten schüchtern näher, um zu lauschen. „Das war der Höhepunkt meiner Reise“, sagt einer von ihnen zu Tana. Da ist selbst sie einen Moment lang gerührt. Doch zurück im Boot erzählt sie schon wieder atemlos von ihren Plänen: Fasten in der Wildnis, Geld sammeln für ein neues Stammeshaus, Kinder unterrichten, Schwitzhütten veranstalten, ein Einbaumkanu bauen. Tana hat noch viel vor – und ist wirklich gesprächig!

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Knorriger Urwaldbaum.

Info: Fahrten im Einbaumkanu kann man bei der Tashii Paddle School buchen. Weitere infos über die Region bei Tofino Tourism und Tourism Vancouver Island.

Die Recherche zu diesem Beitrag wurde unterstützt von Destination British Columbia.

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Blick über den Clayoquot Sound.