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Kanadas wilde Lachse sind die Leibspeise der Ureinwohner, die Lieblingsbeute der Fliegenfischer, aber auch bedrohte Wasserbewohner. Im Campbell River auf Vancouver Island bin ich mit ihnen Schnorcheln gegangen.

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Picknick mit Blick auf Lachsfischer.

„Stellt euch vor, ihr seid Superman,“ sagt Jane. „Ihr müsst euch nur flach aufs Wasser legen, die Arme ausbreiten und euch treiben lassen – das fühlt sich an wie Fliegen.“ Wir stehen auf einer Wiese am Campbell River und warten, dass wir endlich in den Fluss dürfen: Fünf Schnorchler, schwitzend in schwarzem Neopren und schwarzen Schwimmflossen – eher Batman als Superman.

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Im Basislager der Lachsschnorchler von Destiny River.

„Lasst euch durch die Bären nicht irritieren, die sich manchmal am Ufer tummeln“, geht das Briefing weiter. Schließlich haben die Pelztiere das gleiche Interesse wie unsere Gruppe: Lachse. Seit Mitte Juli kehren die Fische zurück, um am Oberlauf des Campbell zu laichen: zuerst der Pink Salmon, die kleinste der fünf Arten im Fluss, später die bis zu über einen Meter langen Chinooks – auch Tyee genannt –, im Oktober folgt als Nachzügler der Chum.

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Guide Jane.

„Über kleine Steine lasst ihr euch wie Robben rüberflutschen“, erklärt Jane weiter, „aber den großen Felsbrocken müsst ihr ausweichen.“ Ihre Anweisungen klingen nicht gerade beruhigend: Body Rafting in einem reißenden kanadischen Fluss? Bären? Steine? Riesige Lachse? Mir wird mulmig Doch die erste Mutprobe wartet noch vor dem ersten Tauchgang auf uns.

Wir stoßen mit dem quietschblauen Schlauchboot vom Ufer ab, das Jane mit langen Rudern navigiert. Die Lachse springen schon: Alle paar Sekunden schnellt ein Körper aus dem Fluss und fällt mit einem lauten Platschen wieder zurück. „Ins kalte Wasser kommt ihr am besten auf die harte Tour“, sagt Jane, und deutet auf einen vier Meter hohen Felsen, an dem sie jetzt anlegt.

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Kostet Überwindung: Sprung in den kalten Fluss.

Während ich Fotos mache, springen die ersten Männer ohne zu zaudern. Na klar! Dann steht eine italienische Touristin an der Kante. Man hört förmlich ihre Gedanken rattern: „Springen oder nicht springen? Aber einfach wieder runterklettern, vor den Augen der ganzen Gruppe?“ Angefeuert vom Rest der Gruppe, springt sie schließlich Dich. Ich folge nach dem Motto „Augen zu und durch“ – das eiskalte Wasser wie ein Schock, dann wird es wieder warm unter dem Neopren.

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Jane in ihrem Schlauchboot mit langen Rudern.

Das Kommen und Gehen der Lachse bestimmte schon immer den Pulsschlag der Region um den Campbell River und die gleichnamige Stadt an seiner Mündung in die Discovery Passage – erzählt Jane beim Paddeln. „Lachshauptstadt der Welt“ nennt sich der Ort deshalb stolz. Weniger wegen der Ureinwohner, die hier über Jahrtausende Fische fingen, sondern aufgrund der Angler, die schon vor mehr als 120 Jahren aus Großbritannien anreisten.

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An der Ostküste von Vancouver Island.

Auslöser des Booms war 1896 ein Artikel im Magazin „The Field – Country Gentleman’s Newspaper“: „Ich hatte einen Monsterfisch am Haken“, schwärmte Sir Richard Musgrave. „Ein 70-Pfünder – bestimmt der größte Lachs, der bisher mit der Angel gefangen wurde.“ Und auch heute sehen wir überall die Fliegenfischer, die ihre Leinen elegant übers Wasser schnurren lassen.

Holzhaus mit Geschäft und großem Fisch als Dekoration, Royston, Insel Vancouver Island, British Columbia, Kanada
Wovon alle Lachsangler träumen …

Dann sind wir an der Reihe: Jane legt an und wir tasten uns mit den Flossen vorsichtig über die glitschigen, moosigen Steine ins Wasser. Offenbar sehen wir sehr unerfahren aus, denn die Sportfischer ziehen lieber erstmal die Angeln ein. Zum Glück sind wir nicht die einzigen Anfänger: Gleich nebenan trainieren Kajaker das Wenden inmitten der Stromschnellen.

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Kurz vor dem Abtauchen im Campbell River.

Ein Krebs knabbert kurz an meinem Fuß, dann stoße ich mich in die Mitte des Campbell River ab. Sofort hat mich die Strömung im Griff, ich höre nur noch meinen Atem und das Gluckern des Flusses. Die Schwimmweste, die Jane besonders eng festgezurrt hat, hält mich wie ein Holzbrett flach auf dem Wasser. Ein riesiger Fisch schießt vorbei, ich schlucke Wasser vor Schreck. Später folgt Schwarm auf Schwarm. Zuerst stehen sie wie festgemeißelt im Wasser, dann schießen die Lachse erschrocken davon.

Snorkel with Salmon EikoJones Destination Campbell River
So tief hinab geht es im Campbell River nicht. Foto: Eiko Jones/Campbell River

Vorsichtig gleite ich auf einen Schwarm zu, 30 Augenpaare glotzen mich an, dann wirbelt Schlamm auf und die Fische sind weg. Ein Streichelzoo ist das nicht! Hin und wieder ein Orientierungsblick: Wo ist das Ufer, wo rauscht die Hauptströmung? Einmal wird es plötzlich schwarz – doch es ist nur der Schatten einer Brücke. Dann fallen die Sonnenstrahlen wieder glitzernd bis zum Grund.

KK Coho and Pink Salmon, Quinsam River 4
Coho und Pink Salmon im Campbell River. Foto: Maxwell Hohn

Schließlich winkt Jane am Ufer. Weil es so schön war, dürfen wir den gleichen Abschnitt noch einmal schwimmen. Wie Aliens tapern wir in unserem Outfit tropfend durch den Wald zurück zur Einstiegsstelle – und landen dabei auf den Handyfotos der grinsenden Spaziergänger. Beim zweiten Tauchgang geht alles schon routinierter. Nach einer halben Stunde auf dem Wasser setzt Tiefenentspannung ein. Das Superman-Gefühl. Als würde man schwerelos dahingleiten.

Zwei Paddler in einem Kanu auf dem Campbell River, Stadt Campbell River, Insel Vancouver Island, British Columbia, Kanada
Der Campbell River ist auch ein Revier zum Kanufahren.

Doch was ist das: Felsbrocken voraus! Was hat Jane gesagt, einfach drüberflutschen? „Rumms“ krache ich in den Stein – habe mich nicht flach genug gemacht – die Strömung wird immer schneller, kein Bremsen, kein Wenden mehr möglich. Rechts und links sprudelt das Wasser der Stromschnellen, doch ich gleite unbeschadet durch die Gischt, neben mir die Lachse und Forellen.

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Schon die Ureinwohner gingen hier auf Lachsfang.

Die Idee, zu den Lachsen zu schnorcheln, entstand vor mehr als 50 Jahren – mit einem ernsten Hintergrund: Damals stieg Roderick Haig-Brown erstmals in den Fluss, Angler, Umweltschützer und Journalist. Der Einheimische machte sich wegen des Baus eines Wasserkraftwerks Sorgen. Sein Schnorchelausflug in den ungezähmten Fluss galt als wagemutig, doch dabei entstand eine der ersten Studien zur Unterwasserfauna.

Kokanee salmon at Cariboo falls near Likely British columbia
Ein Lachs auf dem weg zu den Laichgründen. Foto: Destination BC

Heute gehört das Schnorcheln zu den Standardmethoden, mit denen Biologen den Gewässerzustand beurteilen. Denn inzwischen ist die Lage für die Lachse bedrohlich geworden. Vor allem die Ureinwohner schlagen Alarm und kämpfen gegen Lachsfarmen, in deren Arbeitsweise sie eine Ursache für den Rückgang des Wildlachses sehen.

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Dan Babchuk forscht über Lachse.

Auch die Regierung forscht, welchen Einfluss Klimawandel und Umweltverschmutzung auf die Bestände haben. Und sie steuert mit der Auswilderung von Millionen von Lachsen dagegen an – die meisten kommen aus der Quinsam Salmon Hatchery in Campbell River. „Wir setzen den Lachsen einen kleinen Pin in den Kopf“, hatte mir Dan Babchuk am Vortag erklärt. „Dadurch können wir ihre Wanderungen und ihre Überlebensrate erforschen.“

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Lachs-Nachwuchs im Netz.

Babchuk führte mich durch die Anlage am Unterlauf des Flusses, wo die Lachse abgefangen werden: Im Herbst wandern sie flussaufwärts,“ sagte er. „und im Frühjahr zählen wir, wie viele wieder herunterkommen.“ In manchen Jahren liege die Überlebensrate der Jungtiere bei 15, manchmal auch nur bei einem Prozent. „Es kommen immer heftigere Stürme, die den Nachwuchs fast komplett auslöschen.“

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Dan Babchuk zeigt die Zuchtanlagen.

In der Salmon Hatchery werden Lachseier deshalb künstlich befruchtet und ausgebrütet. Babchuk öffnete Schubladen, in denen jeweils mehrere Tausend Lachse heranwachsen. Wenn sie größer sind, werden sie in Becken im Freien gesetzt. „Unsere Überlebensrate liegt bei 95 Prozent“, sagte mir der Wissenschaftler. „Deshalb ist unsere Arbeit so wichtig – wir wollen den Bestand wieder auf ein historisches Level bringen.“

Auch für die Bären ist der Lachs eine wichtige Nahrung.
Auch für die Bären ist der Lachs eine wichtige Nahrung. Foto: Destination BC

Wer weiß, wie viele Lachse aus der Hatchery sich neben uns im Fluss tummeln. Wir nähern uns jetzt der Mündung, der Fluss ist breiter und tiefer geworden, hellgrüne Algen wehen in der Strömung. Holzhäuser säumen die Ufer, Rasenmäher surren und alle 20 Meter steht ein Fliegenfischer. Während am Oberlauf das Prinzip „Catch & Release“ gilt, dürfen sie hier vier Fische am Tag behalten.

Frau mit Kanu auf dem Auto sitzt am Meer und liest, Royston, Strait of Georgia, Insel Vancouver Island, British Columbia, Kanada
Abendstimmung an der Ostküste von Vancouver Island.

Kurz vor dem offenen Meer gesellt sich ein Seelöwe neugierig zu uns, schnaubend taucht er auf und ab, um sich dann wieder dem Lachsfang zu widmen. Dann heißt es „alle Mann an Bord“. Auf elegante Weise klappt das nicht: Jane packt jeden von uns am Kragen und zieht uns wie einen nassen Sack auf das dümpelnde Kodiak.

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Die Lachsangler laufen aus – später dürfen sie nur noch rudern.

Nach der Tour lasse ich mich noch durch den Ort Campbell River treiben. Herbstliches Nachmittagslicht fällt auf die weißen Holzboote im Jachthafen. Ich habe Glück, denn jetzt schlägt die Stunde der besten Lachsfischer der Stadt: Heute treffen sich die Mitgglieder des Tyee Clubs für einen besonderen Wettkampf. In diesen 1924 gegründeten Verein wird nur aufgenommen, wer nachweislich einen Tyee gefangen hat, einen Chinook-Lachs mit mindestens 30-Pfund Lebendgewicht.

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Terrasse mit Aussicht.

Bald dümpeln mehr als drei Dutzend weiße Holzboote in der Bucht, die Angler halten ihre Ruten ins Wasser, während die Steuermänner mit den Rudern den Kurs halten: Der Einsatz von Motoren ist beim Fischen verboten – strenge Clubregel! Vor dem Clubhaus wartet der Weigh Master, der Herr über die Waage, auf den ersten Fang des Abends. Immerhin geht es um den Titel des „Tyee Man“ – des besten Lachsanglers der Saison.

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Die Lachsangler auf dem Weg zu den Fanggründen.

Der ganze Ort schaut dabei zu: Männer in Pick-ups am Ufer, Familien beim Picknick, Paare auf einem Baumstamm sitzend. Der Mond steht schon am Himmel und wetteifert mit dem goldenen Abendlicht – das Meer sieht aus wie Milch mit einem roten Schuss. Am Horizont leuchten die schneebedeckten Gipfel der Küstenberge. Es riecht nach Meer und Algen und Fischen – doch die wollen heute nicht beißen.

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Angeln unterm Mond.

„Sobald der erste Lachs an der Leine zappelt, machen alle Boote Platz für den erfolgreichen Angler“, erklärt mir eine Dame mit elegantem Hut, die vor dem Clubhaus auf den Ruf „Fish on line“ wartet. „Der Bootsmann muss dann schnell zur Waage rudern, denn der Tyee bringt mehr Gewicht mit, solange er noch voller Wasser ist.“ Doch die goldene Glocke, die den Fang bestätigt, schweigt. Die Lachse haben Ruhetag. Wir Schnorchler haben ihnen wahrscheinlich schon genug Stress gemacht!

Infos: Schnorcheln mit den Lachsen wird von Mitte Juli bis Mitte Oktober von Destiny River Adventures angeboten. Die Quinsam Lachszuchtstation mit Besucherzentrum kann man Mo.–Fr. 8–16 Uhr besichtigen.

Die Recherche zu diesem Beitrag wurde unterstützt von Destination BC.

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Lachsgrillen nach Art der Ureinwohner.