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Im größten Nationalpark Kanadas leben Bären, Wölfe, Bisons und der seltene Schreikranich. Und hier liegt der „schönste Strand des Nordens“.

„Du bist ein Glückspilz!“ Richard Zaidan deutet in die Ferne und fokussiert dann sein Fernrohr. „Dort hinten steht ein Schreiadler – den bekommen nur ganz wenige Menschen zu sehen“, sagt der Parkranger. Wir stehen auf einer hölzernen Aussichtsplattform, vor uns ein Breitwandpanorama: Salzseen leuchten schneeweiß in der Sonne, dazwischen dunkelgrüne Kiefernhaine – und am Horizont unendlicher Wald.

Durch das Spektiv ist der Whooping Crane, ein Exemplar der größten Vogelart Nordamerikas, deutlich zu erkennen: helles Gefieder, schwarze Flügelspitzen und ein roter Fleck auf dem Kopf. „Ich arbeite seit neun Jahren im Park und habe selbst erst zwei gesichtet“, sagt Richard, um die Bedeutung der Begegnung zu betonen. Nur noch höchstens 150 Brutpaare gibt es, der Wood Buffalo National Park ist der letzte Nistplatz in freier Wildbahn.

Besonders groß war die Population des Schreikranichs nie gewesen, der durch Nordamerika pendelt – von den texanischen Küsten bis in die Northwest Territories. Mitte des 20. Jahrhunderts sah es so aus, als würde die Art ganz aussterben, nur noch knapp 20 Exemplare zählte man damals. Doch dann wurden die letzten Vögel in Wood Buffalo sorgsam vor Störungen abgeschirmt, Zuchtprogramme liefen an.

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„Der Schreikranich ist nur eine von vielen Erfolgsgeschichten aus Wood Buffalo“, sagt der Ranger, während wir über einen schmalen Pfad ins Tal herabsteigen – zur Freude der Mücken, die uns in Myriaden umschwärmen. Gegründet wurde der Park 1922 zum Schutz der letzten frei umherziehenden Herden der Waldbisons, die ihm seinen Namen gaben. Ihre Zahl war in Kanada von geschätzten 170.000 auf wenige Dutzend zurückgegangen.

Später wilderte man zusätzlich Präriebüffel aus, die daraufhin sofort weit nach Süden wanderten. In jedem anderen Land hätte man sie zurückgetrieben – in Kanada erweiterte man einfach die Parkgrenzen. Heute ist Wood Buffalo mit 45.000 Quadratkilometern der größte Nationalpark Kanadas und einer der größten der Erde. Er umschließt bizarre Karstgebiete, Salzebenen und das gewaltige Peace Athabasca-Binnendelta – ein Rastplatz für Zugvögel, die jedes Jahr im Frühjahr und Herbst zu Hunderttausenden einfallen.

„Und jetzt Schuhe aus“, sagt Richard, als wir den Talboden erreichen. Unsere Zehen wühlen in warmem, weichem Salz. „Man sagt, dass es eine ähnlich heilsame Wirkung hat wie am Toten Meer“, sagt der Ranger, als er durch einen schmalen Bach watet. Dessen Wasser ist stark salzhaltig, ebenso wie das zahlreicher, von weißen Krusten bedeckter Quellen in den Salt Flats: Hier befand sich einst ein urzeitlicher Meeresboden.

Schon die Ureinwohner nutzten das Salz zum Konservieren von Fisch und Fleisch. Später bauten Missionare den Rohstoff ab – bei der Hudson Bay Company ging das Pfund Salz für 10 Cent über den Ladentisch. Überall in der Kruste zeichnen sich deutlich Tierspuren ab: die breiten Hufe von Büffeln, die Tatzen eines Wolfsrudels, die Füße eines Schreikranichs und sogar die gewaltigen Pranken eines Grizzlys.

Richard freut sich über unsere Entdeckungen, als wäre er heute zum ersten Mal hier. Er gehört zu jener Sorte Parkranger, deren Augen auch nach der hundertsten Tour noch Funken vor Begeisterung sprühen. Doch als wir zum Parkplatz zurückkommen, blickt er sorgenvoll auf eine riesige Rauchwolke, die am Horizont steht. Eines von mehreren Buschfeuern in der Region.

„Wir haben gerade 17 Feuer unter Beobachtung“, sagt der Ranger. Keine Katastrophe, sondern Alltag in Wood Buffalo. „Die Brände sind notwendig für die Erneuerung der Wälder. Die Zapfen mancher Bäume wie der Banks-Kiefer öffnen sich nämlich nur unter Hitzeeinwirkung.“ Die Parkverwaltung greift in diesen Prozess nur ein, wenn Gemeinden oder wichtige Straßen bedroht sind.

Auf dem Weg zum Sitz der Parkverwaltung in Fort Smith tritt Richard plötzlich auf die Bremse: Ein Dutzend Büffel trottet gemächlich über die Piste, um ihre zottigen Schädel auf der anderen Seite wieder in das frische Gras zu versenken, das zwischen verkohlten Baumstämmen wuchert – so profitieren auch die Waldbisons von den Buschbränden.

Am nächsten Morgen riecht die Luft nach Kiefernnadeln und verbranntem Holz, in der Ferne tobt immer noch das Buschfeuer. In Richards Wagen gleiten wir vorbei an Seen und Sümpfen, dazwischen immer wieder gewaltige Biberdämme. Dann wandern wir durch einen Espenwald hinab zum Grosbeak Lake, eine der ungewöhnlichsten Landschaften Kanadas.

Roter Lehm schmatzt unter unseren Füßen, dazwischen knirscht es von den Salzkrusten dieses eiszeitlichen Gletschersees. Rote, gelbe, graue Granitbrocken liegen verstreut über der Ebene, als hätte hier eine gewaltige Explosion stattgefunden. Die von Quarzbändern durchzogenen Steine sind von Salz und Erosion zerfressen, andere von feuerroten Flechten bedeckt oder bereits zu Sand zerfallen.

Schließlich stehen wir am Ufer eines flachen Sees, über unseren Köpfen krächzen Möwen ihre Schreie in den Wind. „Das Wasser ist so salzig, dass wir beim Baden nicht untergehen würden“, sagt Richard. Das bizarre Gewässer wurde kürzlich sogar einmal unter „Canadas Best Beaches“ gewählt – wo sonst hat man beim Plantschen im Salzwasser zusätzlich einen Wellness-Effekt.

Infos: Der Wood Buffalo Nationalpark ist ganzjährig geöffnet, die Straßen nach Fort Smith und Peace Point werden freigehalten, der Eintritt ist frei. Ich empfehle, an einer der Ranger-Touren teilzunehmen: Es gibt zweimal wöchentlich eine Kanutour über den Pine Lake sowie Wanderungen zu den Salt Plains und zum Grosbeak Lake.